Selinas Endometriose Geschichte

Selina, die ihre Endometriose-Geschichte erzählt, nach ihrer letzten Operation.

„Ich hatte einen Pneumothorax und bekam eine Drainage über die Rippen in die Lunge. An die ersten Tage kann ich mich aufgrund der Beatmung fast nicht mehr erinnern, aber ich habe lange um mein Überleben gekämpft…“

Selina, die ihre Endometriose-Geschichte erzählt, nach ihrer letzten Operation.

Ihr habt wahrscheinlich schon mitbekommen, dass ich eine neue Serie auf meinem Blog gestartet habe, in der andere Betroffene ihre persönlichen Endometriose Geschichten erzählen können. Ganz ehrlich, ich bin noch immer ganz überwältigt von dem ganzen positiven Feedback zu dieser Serie und davon, wie viele von euch sich bei mir gemeldet haben und mitmachen möchten. Ganz viele von euch haben sogar schon meine Fragen beantwortet und ihre Endometriose Geschichte mit mir geteilt. Ich muss eigentlich nur noch die ganzen Beiträge fertig machen – ich komme aber kaum hinterher. Vielen Dank dafür, das wollte ich einfach an dieser Stelle nochmal sagen, denn ohne euch und eure Endometriose Geschichten würde das alles natürlich gar nicht gehen!

So, mal back to topic jetzt aber: Heute ist es also an der Zeit, den zweiten Beitrag dieser Serie zu veröffentlichen. In diesem Beitrag teilt die liebe Selina ihre Endometriose Geschichte mit uns – es wird spannend!

Ganz kurz vorweg: Wer bist du eigentlich?

Mein Name ist Selina Dauber, linaa_dau bei Instagram, ich bin 25 Jahre alt und komme aus Rheinland-Pfalz. Ich habe ursprünglich Kauffrau im Einzelhandel gelernt, mache nun aber eine Umschulung im sozialen Bereich. Mein Ziel ist es, in einer Schule mit beeinträchtigten Menschen zusammenzuarbeiten. Ich habe jahrelang Leistungssport im Bereich des Reitens gemacht und hatte selbst fünf eigene Pferde. Insgesamt würde ich mich als eine sehr positiv denkende Person beschreiben.

Nun zu deiner Endometriose Geschichte: Welche Symptome hattest du?

Ich hatte bereits sehr früh und sehr stark meine Periode. Ich war damals ungefähr zehn oder elf Jahre alt. Während meiner Periode hatte ich akute Blutungen, starke Fieberschübe und akute Beckenschmerzen. Ich bin vor der Schule regelmäßig ohnmächtig geworden, bedingt durch die Schmerzen und den Kreislauf. Hatte zusätzlich, bedingt durch den Blutverlust, immer totalen Eisenmangel. Ich hab zu dieser Zeit Leistungssport betrieben, man hat dort relativ schnell einen Leistungsabfall beobachten können. Ich persönlich habe die Schmerzen oft verdrängt und selbst mit hohem Fieber kein „Stopp“ angenommen.

Ende 2017 hatte ich dann die ersten Nieren- und Blasenprobleme, welche sich dann 2018 stark verschlimmerten. Meine Blase entleerte sich nicht mehr eigenständig und ich hatte zwischen 2018 und 2019 sechs Mal eine Nierenbeckenentzündung. Meine linke Nierenfunktion war stark eingeschränkt. Bedingt durch die Blasen- und Nierenprobleme hatte ich natürlich akute Schmerzen im Unterleib sowie in/an der linken Flanke. Mein Fieber verlief sich um die 40 bis 41 Grad. Zusätzlich hatte ich immer wieder vermehrt Blut im Urin. Im Laufe des Jahres 2019 entwickelten sich zudem starke Verdauungsprobleme bis hin zum angehenden Darmverschluss. Mein Bauch blähte sich im Laufe des Nachmittags/Abends immer akut auf. Die Luft drückte stark auf mein Zwerchfell und auf meine Lendenwirbelsäule, was starke Schmerzen verursachte. 

Wann und wie wurde deine Endometriose dann diagnostiziert?

Aufgrund der akuten Entzündungswerte, welche durch die gestaute Niere zustande kamen, entschloss man sich die Niere sowie den Harnleiter zu operieren. Da sonst die Gefahr entstanden wäre, dass ich meine linke Niere komplett verliere, da sie nicht mehr eigenständig gearbeitet hat. Zudem war der Blasenmuskel so stark ausgelastet, dass die Angst eines Blasenrisses zu groß war. Ich hatte insgesamt vier Krankenhausaufenthalte hinter mir (ohne Operationen).

Anfang 2018 wurde ich dann das erste mal operiert, bis dahin verschwendete ich nicht einmal einen Gedanken an Endometriose, weil bisher kein Arzt diese Erkrankung in Erwägung gezogen hatte. Während meiner ersten Operation stellte man dann fest, dass mein gesamter Bauch- und Beckenbereich voller tiefinfiltrierender Endometriose war. Insgesamt betroffen waren die Blase, die Gebärmutter, der Gebärmutterhals, der linke Eierstock, die Harnblase, die Niere, der Harnleiter, das Bauchfell, der Nabel, die Leber, die gesamte Beckenwand, sowie der Enddarm. Zudem fand man die Endometriose in der Blase, in der Gebärmutter und sogar im Harnleiter. 

Insgesamt beläuft sich mein Beschwerdeweg auf ungefähr acht bis neun Jahre bis es zur richtigen Diagnose kam. 

Wie oft wurdest du schon operiert und wie war das?

Nach dieser Diagnose wendete ich mich an ein Endometriose Zentrum bei uns im Umkreis und fand dort einen tollen Endometriosespezialisten, welcher mich bis heute betreut. 

Ich wurde dort weitere fünf Mal innerhalb eines Jahres operiert, weil die Folgen und das Ausmaß zu groß waren. Trotz verschiedener Hormontherapien breitete sich die Endometriose tiefer und weiter aus. Zudem bekam ich nach meiner vierten Operation einen Bauchdeckenabzess, welcher ebenfalls operiert und über acht Wochen behandelt werden musste. Die Wunde konnte acht Wochen nicht geschlossen werden und ich musste täglich zu einem Chirurgen, der mir ohne Sedierung die Tamponade wechseln musste. Das war ein sehr schlimmer und langer Prozess für mich. Man sah die Endometriose durch die Wunde, denn sie wuchs auch nach der fünften Operation weiter und weiter, bis hin zum Nabel. 

Am 5. November 2019 hatte ich dann meine sechste Operation in Folge. Es war eine erneute Sanierung geplant mit Teilresektion des Enddarms. Es waren fünf bis acht Stunden angesetzt. Leider war das Gewebe am Enddarm so stark geschädigt, dass man die aktiven Herde am Enddarm nicht entfernen konnte. Es würde dort aktuell keine neue Verbindung für einen kurzzeitigen künstlichen Darmausgang halten. Die Gefahr, dass diese Naht aufginge, ist zu groß und zu gefährlich. Sollte sich der Enddarm dennoch weiterhin chronisch entzünden, muss man ihn komplett entnehmen, was für mich einen dauerhaft-künstlichen Darmausgang bedeuten würde.

Leider verkraftete meine Lunge weder die Narkose, noch den zentralen Venenkatheter, welcher vor der Operation gelegt werden musste. Mein rechter Lungenflügel kollabierte und ich musste für sieben Tage auf die Intensivstation. Ich hatte einen Pneumothorax und bekam eine Drainage über die Rippen in die Lunge. An die ersten Tage kann ich mich aufgrund der Beatmung fast nicht mehr erinnern, aber ich habe lange um mein Überleben gekämpft.

Die letzten Tage als Wachpatient empfand ich als die schlimmste Zeit in meinem gesamten Leben. Durch die Drainage in der Lunge, welche nicht mit einer normalen Wunddrainage zu vergleichen ist, konnte ich mich alleine nicht bewegen. Ich musste gepflegt, gewaschen und gefüttert werden und das mit 25 Jahren. Ich hatte innerhalb von sieben Tagen sechs Kilo Gewicht verloren und wog somit nicht einmal mehr 50 Kilo. Vergleichbare Schmerzen hatte ich noch nie, weder in meinem Körper, noch in meinem Herzen. Meine Familie so traurig und ängstlich zu sehen, war für mich mit das schlimmste. 

Insgesamt wurde ich also sechs Mal innerhalb eines Jahres operiert. 

Wie ist deine Endometriose ausgeprägt? Wo sitzt oder saß sie?

Meine Endometriose saß tiefinfiltrierend im Bereich Blase, Enddarm, Gebärmutter, Harnleiter und Beckenwand. Des Weiteren saß sie am Bauchfell, am Nabel, an der Leber, am Gebärmutterhals und am linken Eierstock. Zudem hatte ich mehrere große Zysten im Bereich des Darms, des linken Eierstocks und an der Gebärmutter.

Alle aktiven Herden in diesen Bereichen konnten entfernt werden – die tiefinfiltrierende Endometriose im Becken beispielsweise durch eine Ablösung der Beckenwand. Die Beckenwand wurde im Anschluss, nachdem die Herde entfernt wurden, neu vernäht. Gerade für diese tiefinfiltrierenden Herden ist das Entfernen von großer Bedeutung, damit sie an dieser Stelle nicht wieder aktiv entstehen können. 

Zur Zeit besteht nur noch der größte aller Herde am Enddarm. Dieser konnte leider nicht mit entfernt werden, da das Gewebe, wie bereits erwähnt, zu geschädigt ist, um eine neue Verbindung herzustellen. 

Jedoch habe auch ich keine Garantie, dass ansonsten alle Herde komplett entfernt worden sind. Denn Herde, welche während einer Operation nicht aktiv sind, also nicht aktiv mitbluten, sind nicht immer zu sehen. Mein Endometriose Spezialist sagte dazu: „Nicht aktive Herde schlummern und sind oftmals nicht gut oder auch gar nicht zu erkennen“. 

Wie gehst du jetzt mit deiner Endometriose um?

Aktuell befinde ich mich in einer Hormonkombitherapie. Ich wollte sehr lange auf die Hormone verzichten, weil ich persönlich kein großer Fan davon bin, dennoch war die Endometriose bisher aber leider stärker und ein Leben unter solchen starken Schmerzen ist für mich keine Option mehr. Im März 2020 ist eine weitere Therapie geplant. Ich werde für zwei bis drei Monate in die künstlichen Wechseljahre versetzt. Generell macht man das eigentlich für ungefähr sechs Monate. Aufgrund meines Körpergewichts kann ich vorerst aber nur zwei Monate in die künstlichen Wechseljahre. Dies funktioniert beispielsweise über Spritzen. Diese Therapie kann sich stark auf die Knochen auswirken und sollte generell, gerade wegen den hohen Nebenwirkungen, nicht unterschätzt werden. 

Zusätzlich achte ich auf viel frische Luft und Bewegung. Ich gehe regelmäßig aktiv mit meinem Hund laufen und empfinde das auch als super hilfreich. Aber auch die Kehrseite, sprich Entspannung in Form von Yoga, tut mir sehr gut. 

Wie geht dein Umfeld mit deiner Endometriose um?

Ich habe das große Glück, dass meine Familie total hinter mir steht. Meine Eltern sind geschieden. Ich habe aber eine tolle und sehr herzliche Mama und einen tollen Stiefvater. Sie versuchen mir alles zu ermöglichen und stehen zu jeder Zeit hinter mir. Sie sind oft sehr besorgt und vor allem meine Mama macht sich große Sorgen um mich, was mir oft sehr leid tut. 

Auch mein Partner stärkt mir zu jeder Zeit meinen Rücken. Er stellt meine Beschwerden nie in Frage und keine Aufgabe ist ihm zu viel. Er ist sehr einfühlsam und steckt oft zurück, was nicht selbstverständlich ist, denn auch er hat Bedürfnisse. Ich glaube wir haben eine tolle Basis und viele gleiche Ansichten, was uns unser gemeinsames Zusammenleben zudem erleichtert. 

Ich glaube für das gesamte Umfeld ist der Umgang mit einer chronisch kranken Person nicht immer einfach. Vor allem wenn das Umfeld selbst nicht chronisch krank ist. Deshalb schätze ich es sehr, dass mein Umfeld so hinter mir steht.

Natürlich habe ich auch negative Erfahrungen gesammelt, gerade im Freundeskreis zeigt sich, wer für dich da ist und wer nicht. Aber ich werte das gar nicht als negativ, denn auf diese Menschen kann ich gut verzichten. Eine Freundschaft besteht nicht nur aus guten Zeiten. Es sind die schlechten und harten Zeiten, welche Freundschaften und Beziehungen ausmachen. Natürlich sind Trennungen immer schmerzhaft, aber man sollte keine Menschen um ihre Hilfe bitten oder sogar zwingen müssen. 

Was würdest du jemandem mitgeben, der kurz vor seiner Operation steht oder frisch diagnostiziert wurde?

Ich würde der Person empfehlen sich mit der Erkrankung aktiv auseinanderzusetzen. Sich weiterzubilden und vor allem in komplexere Themen hinein zu lesen. Damit man bei Terminen beim Arzt oder in einem Endometriose Zentrum gezielte Fragen stellen kann und nicht blind in so ein Gespräch hineingeht. Natürlich liest man mehr negatives als positives. Aber das Wissen kann einen bestärken und einem die Unsicherheiten nehmen. Auch im Bezug auf Therapien und Operationen helfen Informationen meiner Meinung nach viel. 

Außerdem muss man als Patient nicht immer still im Raum sitzen, man kann aktiv an dem Gespräch teilnehmen und sollte dies auch, denn wir haben nur den einen Körper! Und jeder Mensch hat das Recht ohne Schmerzen leben zu können. So sollte man also aktiv mitentscheiden ob und welche Therapie man annehmen und ausprobieren möchte. 

Außerdem sehe ich es als wichtigen Aspekt das Umfeld, sei es Familie oder Arbeitgeber, über diese Erkrankung zu informieren und sie über die Situation aufzuklären. Man kann nicht erwarten, dass die Menschen dann wissen, wie es einem geht oder was man durchmacht. Aber man kann so um Verständnis bitten und das Umfeld kann so etwas besser verstehen, wenn man mal wieder ausfällt oder eine Absage erteilt.

Und zum Schluss würde ich der Person mit auf den Weg geben, dass Endometriose zwar eine schlimme Erkrankung ist, welche natürlich starke Schmerzen verursacht. Dennoch muss man aber positiv bleiben und sich fragen, was uns das Leben vielleicht damit auf den Weg geben möchte. Sollte ich mehr auf meinen Körper achten? Mehr für mich tun? Sei es Entspannung oder ein anderes Hobby als Ausgleich. Ich denke nur starke Menschen bekommen einen schweren Weg und ich glaube jeder, der diese Erkrankung hat, ist stark genug diesen Weg zu gehen. 

Auch wenn ich selbst definitiv nicht nur gute Tage habe, finde ich, dass positives Denken eines der wichtigsten Dinge im Bezug auf die Endometriose ist. 

Was möchtest du noch gerne einfach mal loswerden?

Ich finde es toll, dass diese Erkrankung so viele Frauen zusammenbringt und einen so tollen Austausch ermöglicht. Auch wenn es oft traurige Beiträge sind, hinter welchen oft ein langer Leidensweg steckt, hilft uns dieser Austausch doch meist weiter. Es wird so viel Aufklärungsarbeit von Betroffenen geleistet. Sie stecken so viel Arbeit und Herzblut hinein, was einfach nur toll ist. Ich finde das spiegelt die Persönlichkeit der Erkrankten oft gut wieder. Sie haben eine hohe Empathie und eine große Hilfsbereitschaft, was nicht selbstverständlich ist. Ich finde unsere Gesellschaft und gerade nicht betroffene Menschen sollten das mehr anerkennen. Denn umso mehr Aufmerksamkeit unsere Erkrankung bekommt, umso mehr kann anderen betroffenen Frauen das Unwissen und vor allem das Leiden früher genommen werden. 

Zudem würde ich mir wünschen , dass Deutschland im Bezug auf die Endometriose noch kompetenter wird und vieles aus den USA vielleicht auch in Deutschland übernommen und ermöglicht werden kann. 

Danke Selina!

Vielen Dank an dieser Stelle an dich Selina – danke dafür, dass du so offen warst, deine Endometriose Geschichte mit uns zu teilen, in all ihren teilweise wirklich schlimmen Facetten!

Ich kann mich übrigens quasi allen Ratschlägen und Tipps an andere Betroffene aus diesem Beitrag nur anschließen, das möchte ich wirklich noch dazu sagen. Ich glaube auch, dass ein positives Mindset das A und O ist. Jeder darf mal traurig sein, keine Frage, aber wir sollten alle versuchen, den Mut nicht zu verlieren und unseren Weg zu finden und zu gehen, so schwer es manchmal sein mag. Es ist dabei natürlich unglaublich wichtig, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen und füreinander da sind, denn am am Ende sind wir nur so alle nicht damit alleine. 

Selina ist übrigens grad in der Reha und sie postet darüber auch bei Instagram, also folgt ihr dort natürlich gerne! Wir haben auch überlegt, ob Selina vielleicht nach der Reha einen Gastbeitrag für meinen Endometriose Blog schreibt, um ihre Erfahrungen aus der Reha mit uns allen zu teilen.

Wenn ihr eure Endometriose Geschichte auch gerne erzählen möchtet, dann lasst es mich einfach wissen – egal, ob über das Kontaktformular oder Instagram!

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